Der Apres Ski Star
Augusta Lange: Mooserwirt

Der Après-Ski-Star

von Clemens Kriegelstein
Freitag, 03.11.2017
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HOGAPAGE blickt hinter die Kulissen der lukrativen Ski-und-Schlager-Gastronomie.

Es war Ende 1989, als der Arlberger Skilehrer Eugen Scalet vor einem Problem stand: Ihm wurde eine Liegenschaft vererbt, ein Stück oberhalb der Talstation von St. Anton, mitten auf der grünen Wiese – allerdings auch direkt neben der Skipiste. Die Entscheidung, hier eine Skihütte zu errichten, war demnach mangels anderer Alternativen (»Was soll man an diesem Standort schon groß machen?«) bald getroffen. Auch weil Scalet miterleben konnte, wie gut die etwas oberhalb gelegene Sennhütte seines Freundes Karl Senn lief und wie wohl sich dessen Gäste, aber auch er selbst, dort fühlten. Wohlgemerkt, das war zu einer Zeit, als man unter Après-Ski meist noch verstand, nach der letzten Abfahrt auf das eine oder andere Bier zu gehen, bevor man sich im Hotel geduscht und für das Abendessen umgezogen hat.

Doch das Verhalten vieler (vor allem jüngerer) Ski- und Snowboardfahrer war gerade dabei, sich zu ändern. Viele Wintersportler bekamen inzwischen schon im Laufe des Nachmittags Lust, ihre Bretter in den Schnee zu stecken und sich – gewappnet mit Bier, Glühwein und Wodka-Feige – dem unbeschwerten Spaß hinzugeben. Dazu sorgten findige DJs schon bald für eine musikalische Untermalung, die beim Mitsingen weder übermäßige sangestechnische noch intellektuelle Möglichkeiten voraussetzten.

»Mutter aller Skihütten«

Eugen Scalet war einer der Ersten, der die Möglichkeiten dieses Konzeptes erkannte, und machte so den Mooserwirt – benannt nach der Adresse »Mooserweg« – zu einer Art Prototyp dieser Art von Spaß-Skihütten-Gastronomie. Eine Playboy-Reportage verlieh ihm einst sogar den Titel »Mutter aller Skihütten«. Doch der Beginn war dorniger als erwartet. In den ersten Jahren des Bestehens war der finanzielle Erfolg noch in weiter Ferne, ein erfolgreiches Betriebsergebnis bestenfalls ein Wunschtraum. Daran konnten selbst die regel­mäßig auftretenden Live-Bands nichts ändern.

Gerhard Schmiederer hieß dann der Mann, der den Umschwung zum Besseren brachte. Anfangs trat auch er noch gemeinsam mit seinem Bruder live auf und spielte ­diverse klassische Ohrwürmer aus der Schlagerkiste nach. Bald jedoch tauschte er die Gitarre mit dem Mischpult, sorgte mit Musik aus der Konserve für ein volles Haus – und manch ratloses Gesicht. Denn die neuen musikalischen Stars hießen plötzlich nicht mehr Herbert Grönemeyer, Rolling Stones oder Nena, sondern Udo Jürgens, Mickie Krause und Wolfgang Petry. »Aber bitte mit Sahne« rangierte da zwischen »10 nackte Friseusen«, »Saufen, saufen, saufen« und »Ja, wir haben ein Idol: Harald Juhnke« schon als intellektuelles Highlight.

Schlagerparade

Die ersten Reaktionen – von den eigenen Mitarbeitern wie auch von manchen Gästen – waren zweigeteilt: Während die neuen musikalischen Entwicklungen so manchem das blanke Entsetzen ins Gesicht trieben, überraschten immer mehr Gäste mit dem dafür nötigen Humor. Scalet: »Wir haben damals den Umsatz im Vergleich zu anderen Tagen mit Live-Musik verdoppelt.« Die Entscheidung, in welche Richtung es künftig gehen sollte, war folglich nicht allzu schwer und der Mooserwirt wurde damit zu einem der Pioniere dieser Art von Unterhaltungsgastronomie. Diese Trademark hat sogar der TV-Sender RTL2 erkannt und produziert – in diesem Jahr am 9. Dezember und bereits zum ­16. Mal – jährlich zu Saisonbeginn ein riesiges Après-Ski-Live-Konzert mit den einschlägigen Skihütten-Sängern im Mooserwirt, das schließlich auch als CD vermarktet wird.

Schmiederer ist inzwischen 67, seit 26 Jahren im Mooserwirt tätig und damit »wahrscheinlich der längstdienende DJ der Welt«, wie es Scalet formuliert. Und der Mooserwirt weiß, was er an seinem Musikmeister hat: »Er war vor vielen Jahren einmal krank, da ist ein anderer Profi eingesprungen, der normal im Radio auflegt, also auch weiß, wie das geht. Der hat nachher gesagt, es gäbe keinen schwierigeren Platz zum Auflegen als den Mooserwirt. Die Umsätze sind in der Zeit um rund ein Drittel eingebrochen!« Aber weil jede Ära einmal zu Ende geht, ist Schmiederer seit Kurzem dabei, seinen Sohn Thomas als Nachfolger aufzubauen. Dieser legt jetzt an zwei Tagen die Woche auf, der Senior an den restlichen fünf. »Somit ist ein fließender Übergang gesichert. Aber wie ich den Gerhard kenne, wird dieser Übergang wahrscheinlich noch Jahrzehnte dauern«, lacht Scalet.

Spareribs statt Schnitzel

Vater und Sohn Schmiederer sorgen inzwischen jedenfalls weiterhin dafür, dass der Bär steppt und es den etwa 90 Mitarbeitern nicht langweilig wird. Wie viele Leute sich hier an guten Tagen die Klinke in die Hand geben, kann man nur schätzen. Aber mit einer hohen dreistelligen Zahl, die hier von Anfang Dezember bis Ende April täglich einfallen, liegt man sicher nicht daneben.

Ab elf Uhr beginnt das Mittagsgeschäft. Wobei Scalet vor zwei Jahren seine Speisekarte komplett umgestellt hat. In diversen Bergrestaurants sind damals über 1.000 Sitzplätze auf einen Schlag dazugekommen und das hat der Mooserwirt, der zwar viel Stimmung, aber aufgrund seiner tiefen Lage kein Bergpanorama bieten kann, schon gespürt. Scalet: »Dann habe ich mir halt gedacht, ich hebe mich mit dem Speisenangebot ab, habe Käsespätzle, Spaghetti bolognese, Schnitzel, also die ganzen Klassiker, die alle auf der Karte haben, rausgeschmissen und konzentriere mich jetzt auf die Gerichte, die seit jeher unsere Renner waren: Burger, Spareribs oder Chickenwings in diversen Variationen. Alleine bei den Burgern bieten wir zwölf Versionen an. Und die müssen so geil sein, dass die Leute sagen, sie kommen zumindest einmal in der Woche hierher.«

Scalet gesteht, dass die Umstellung nicht ohne Bauchweh ablief. Unnötigerweise, wie sich herausstellen sollte. Im Jahr eins nach der Umstellung ist der Speisenumsatz noch gleich geblieben, vorige Saison gab’s ein Plus von 25 Prozent. Und pünktlich um 15.30 Uhr, wenn die Mägen der Gäste mit einer ersten Unterlage auf den restlichen Nachmittag vorbereitet sind, startet offiziell die große Après-Ski-Party. Dann wird getanzt und gefeiert, getrunken und geschunkelt.

 

Mooserwirt St Anton
Foto: Mooserwirt

Preisführerschaft

An etwaigen Kampfpreisen liegt der Massenandrang auf den Mooserwirt allerdings nicht. Cheeseburger mit Pommes frites kommen auf 20 Euro, Spareribs mit Beilage auf 25 Euro und das große Bier steht mit schlanken 6,40 Euro auf der Karte. Eben »saugut und schweineteuer« wie es Scalet ganz offen augenzwinkernd kommuniziert. »Wir haben hier wahrscheinlich die Preisführerschaft, aber einer muss ja schließlich vorausmarschieren. Hin und wieder holen wir uns dafür auch unsere Ohrfeigen ab, wenn mal wieder jemand auf Trip­advisor schreibt, dass das mit dem ›schweineteuer‹ wirklich stimmt, aber damit muss man leben. Und offensichtlich gelingt es uns ja, die Leute davon zu überzeugen, dass der Gegenwert auch stimmt. Denn wenn man nur teuer ist, geht das nicht lange gut.«

Überhaupt ist die Qualität dem Meister des Après-Skis seit jeher ein Anliegen. Zum Essen gibt’s Tischsets, beim Mittagsgeschäft sogar Tischtücher, die Schnäpse sind ausnahmslos Premium-Markenware, die die Hersteller eigens in Containern anliefern und selbst bei den Pommes frites, von denen täglich ein ganzer Berg in der Fritteuse landet, zahlt man einem Top-Lieferanten gerne ein Vielfaches von dem, was man einem Billiganbieter löhnen müsste.

Goliath lässt grüßen

Doch auch wer das Besondere sucht, wird im Mooserwirt fündig. Posten wie Roederer Cristal, Masseto oder Château Cheval Blanc (suchen Sie das mal auf anderen Skihütten außerhalb der Schweiz) hat Scalet schon länger im Portfolio. Inzwischen verfügt man über einen Weinkeller, der sich selbst am Arlberg sehen lassen kann und der bei Bedarf auch mit 18-Liter-Flaschen (!) im Goliath-Format aufwarten kann. Seit zwei Jahren gibt es mit dem »Mooserl« überdies eine Champagner– und Craftbier-Bar, quasi als Lokal im Lokal. Und 2016 wurde das ehemalige Stüberl im ersten Stock zum »Stooberl« umgebaut, das mit einer Einrichtung aus Leder und Glas ebenfalls mehr Ambiente bietet. Die Musikbeschallung ist zwar in diesen Lokalbereichen die gleiche wie im Hauptraum, allerdings etwas gedämpft.

Überhaupt schaut Scalet darauf, dass ein gewisses Mindestniveau nicht unterschritten wird, der Alkoholpegel der Gäste zumindest nicht höher steigt, als unbedingt notwendig. Kübelsaufen, Meterschnäpse, Happy Hours und andere Ideen, die die Gäste zusätzlich zum Trinken animieren, sucht man beim Mooserwirt vergeblich: »Ich hasse sowas. Und wenn wir ehrlich sind: Die Leute trinken ja ohnehin genug, und natürlich lebe ich auch vom Verkauf des Alkohols. Da brauch ich sie nicht noch mit Sonderangeboten extra zu ködern.« Für die seltenen Fälle, in denen ein Gast trotzdem aus der Rolle fällt, gibt es seit fünf Jahren einige Securitys. Bis zu dem Zeitpunkt sei das zwar nicht nötig gewesen, aber bei manchen Leuten habe sich in letzter Zeit sukzessive der Aggressionslevel erhöht. »Diese Securitys stehen aber nicht breitschultrig für jeden erkennbar herum, weil sowas manche Leute erst recht zu Provo­kationen animiert, sondern die halten sich dezent im Hintergrund und schreiten nur bei Bedarf ein«, erklärt Scalet.

Unbeleuchtete Piste zur Sicherheit

Um 20 Uhr ist jedenfalls seit jeher Schluss mit lustig, denn schließlich müssen die meisten Gäste dann noch in stockfinsterer Nacht per Ski ein paar hundert Meter zur Talstation abfahren. Sowas ist für nüchterne Leute schon eine Herausforderung, allerdings gehen dort die wenigsten um ­­20 Uhr nüchtern raus. Scalet: »Ich hatte sogar mal die Idee, diese Piste zu beleuchten, damit man sich leichter tut. Heute bin ich froh, dass dieser Plan nicht genehmigt wurde. Denn wenn die Leute was sehen, ist die Gefahr noch größer, dass sie zu schnell fahren und sich verletzen. So ist wirklich jeder im Schritttempo unterwegs.« Tatsächlich also keine gröberen Verletzungen im Laufe der Jahrzehnte bei der letzten Abfahrt? »Ein paar blaue Flecken wird’s schon gegeben haben, aber soweit ich weiß, ist ein gebrochenes Schlüsselbein die schlimmste Verletzung, die sich hier jemand offiziell in der ganzen Zeit zugezogen hat.«

Singen, Spaß haben, einfach mal vom Alltag abschalten und sich dabei gut betreut fühlen, sollen sich die Mooserwirt-Gäste also, wenn es nach Eugen Scalet geht. Ein Konzept, das seit 28 Jahren aufgeht. Wenn das die »schlechteste Skihütte des Arlbergs« ist, möchte man gerne die beste kennenlernen …

Après-Ski

Geprägt wurde der Begriff vermutlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts im französischen Chamonix, wo man damit das abendliche gemütliche Beisammensein nach einem kalten Urlaubstag in den Bergen bei gutem Essen und Wein verstand. In Österreich wurde das Après-Ski angeblich im Hotel Post in St. Anton am Arlberg kultiviert, wo man auch gleich den exotischen Ausdruck dafür übernahm, quasi als regionale Variante der abendlichen Geselligkeit.

Heute ist das Après-Ski-Business ein professionell vermarktetes Multi-Millionen-Geschäft, an dem nicht nur Lokalbesitzer gut verdienen, sondern auch zahllose Schlagerstars von DJ Ötzi bis Jürgen Drews, die damit für Ballermann-Stimmung in den Alpen sorgen.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.

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