Wenn der Wirt rot sieht
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Wenn der Wirt rot sieht

von Petra Sodtke
Samstag, 05.08.2017
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Ob Promi-Wirt, alter Hase in der Branche oder Jung-Gründer mit den kreativsten Einfällen: Treffen kann eine Insolvenz – die Situation der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eines Unternehmens – unter gewissen Umständen jeden. Für so einen bitteren »Insolvenz-Cocktail« braucht Wirt nur wenige essenzielle Zutaten: »Fehlkalkulation als Ursprung, spätes Bewusstmachen bzw. Akzeptieren, dass eine existenzielle Krise vorliegt und falsche Reaktionen, die das Problem verschleppen und/oder vergrößern«, weiß Dr. Michael Lesigang, ein auf Insolvenzrecht und Unternehmenssanierung spezialisierter Wiener Rechtsanwalt (www.ra-lesigang.at).

So mixt man den Insolvenz-Cocktail

Ein klassisches Beispiel ist jenes eines Gastronomen, der unter dem Pseudonym »Robert aus Tirol« den Weg seines Traumlokals zum Albtraum auf der Plattform www.unternehmer-in-not.at beschreibt: »Beim Start war ich überzeugt, dass ich mit meiner Leistungsfähigkeit alle Widrigkeiten ausgleichen kann.« Zunächst erwirtschaftet er die nötigen Umsätze. Die warnenden Worte seines Unternehmensberaters bezüglich der zu hohen Fixkosten ignoriert er. Obwohl ihm bewusst ist, dass nichts passieren darf: Kein wichtiges Arbeitsgerät ausfallen, und er selbst schon gar nicht.

Zudem muss er es schaffen, seine Gäste auch im Sommer, wo die meisten in Open-Air-Lokale drängen, zu behalten. »Ich habe daran geglaubt: Wenn man sich nur genug um die Gäste bemüht, freundlich ist, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt, dann kommen sie, egal bei welchem Wetter.« Dann passiert es doch: die Umsätze fallen, die Fixkosten drücken, Zahlungserinnerungen stapeln sich. Just in der Zeit setzen dem Ganzen nicht selten außergewöhnliche Ausgaben, Gesetzes-/Steuer-Änderungen, Mietpreiserhöhungen – nicht einkalkulierte Risiken – die Krone auf.

Schnelle Lösungen sind oft falsch

In einem solchen Zustand der Existenzangst reagieren viele Unternehmer gleich, weiß Johannes von Sengbusch, Vorsitzender des deutschen Bundesverbands Selbstständige in der Offensive (www.sido.org): Zuerst begleichen sie noch was geht, bitten Lieferanten um Aufschub, kürzen beim Personal (oder vertrösten beim Gehalt auszahlen) und starten eine selbstausbeuterische »Wir-schaffen-das«-Strategie wie Beispiel-Gastronom Robert: »Ich dachte: Ich lasse halt noch zwei Stunden länger offen, um die nötigen Umsätze zu machen.«

Wird die Situation prekär, sucht Wirt händeringend nach Geldquellen: Manche konsultieren die Bank (die jetzt meist dicht macht) oder Freunde und Verwandte. Andere reagieren mit »Strohmann-Modellen« (Betriebs-Überschreibung an unbelastete Dritte) und landen in einer rechtlich bedenklichen Grauzone. So menschlich verständlich all diese Versuche sind, so wenig bringen sie: »Damit stopft man nur für kurze Zeit die Löcher. Das Problem bleibt, man rutscht nur tiefer.«

Betriebswirtschaftliches Know-how ist bei vielen Gastronomen Fehlanzeige
Foto: iStockphoto

Es gibt keinen Retter in der Not!

Sinnvoll sind hingegen Sofortmaßnahmen wie diese: »Eine Liste mit Prioritäten erstellen und nur noch das zahlen, was am Leben erhält, wie Miete, Strom, Telefon. Und das, wozu man strafrechtlich verpflichtet ist: beispielsweise Arbeitnehmeranteile an die Sozialkassen«, rät von Sengbusch. Dann sollte man nüchtern einsehen: Man kann (und sollte!) sich geeignete Wegbegleiter suchen – mit Betonung auf Begleiter, denn den Retter in der Not, der alles für einen macht, den gibt es nicht. Aus der Krise ziehen kann man sich nur selbst, mit einer extremen Nervenbelastung ist zu rechnen. Den allerersten Schritt setzt man im Alleingang, erklärt Lesigang: »Zuerst den Ist-Zustand ermitteln: Wie tief steckt mein Betrieb in der Krise? Welche Umsätze habe ich, welche Fix-Kosten?« Das heißt: Hinsetzen, Rechnungen öffnen, Unterlagen ordnen, einen Kassensturz zur Ermittlung der noch vorhanden Liquiditäts­reserven und eine kurzfristige Erfolgsrechnung durchführen (siehe Kasten: Erste Hilfe).
Insolvenzantrag fristgerecht einreichen!

Von Sengbusch: »Im zweiten Schritt sucht man sich einen Anwalt oder Steuerberater, der den Ist-Zustand prüft, durchgeht und hilft zu beurteilen: Bin ich in der Lage, den Betrieb fortzuführen, auch wenn man Verbindlichkeiten außer Acht lässt? Soll das Unternehmen saniert werden oder ist ein Konkursverfahren mit Liquidation der bessere Weg? Was ist mein Ziel: Will ich Unternehmer bleiben oder Arbeitnehmer werden?« Dann erarbeitet man gemeinsam eine Strategie (ein Muss!). Ergibt die Situationsanalyse eine unabwendbare Insolvenz, ist der nächste Schritt die Meldung, erklärt Lesigang: »Den Insolvenzantrag bei Gericht fristgerecht einreichen! Ignoriert man die Frist, haftet der Geschäftsführer.« Je länger man wartet, desto mehr riskiert man, dass andere für einen handeln (Gläubigerantrag). Was bedeutet: weniger Sanierungschancen.

Den richtigen Begleiter finden

»Hat man einen Kleinstbetrieb, sucht man sich am besten einen auf Insolvenzen/Sanierung und auf Kleinstbetriebe spezialisierten erfahrenen Anwalt. Denn welche Möglichkeiten man im Falle der Insolvenz nach dem Antrag hat, entscheidet u.a. die Rechtsform (für Einzelunternehmen anders als beispielsweise für GmbH). Und die Rechtslage ist komplex, ändert sich laufend. Nicht jeder Anwalt, der große Betriebe erfolgreich berät, weiß etwa auch, dass die seit 2007 geltende »Freigabe der Selbstständigen Tätigkeit« im Insolvenzverfahren für Einzelunternehmer anwendbar ist und große Chan­cen birgt«, sagt von Sengbusch. Tipp: Anwälte nach Branchenkollegen fragen, Expertenpool nationaler Plattformen checken (www.sido.org, www.unternehmer-in-not.at).

Von staatlicher Seite gäbe es kaum sinnvolle Hilfsangebote, bedauert von Sengbusch: »Schuldnerberatungen helfen nur bei Antragstellung und eventuell bei der Situa­tionsanalyse. Man braucht aber jemanden, der in der ersten Phase (inklusive Insolvenz-Antragstellung, Eröffnungsverfahren bis Schlusstermin des Hauptverfahrens) und punktuell danach, im ca. drei bis fünf ­Jahre dauernden Restschuldverfahren, für einen da ist.« Mit welchen Kosten muss man rechnen? Von Sengbusch: »Für die erste Phase: mindestens 1.800 bis ­2.000 Euro. Nach oben sind die Hono­rare der Fachleute offen, manche verlangen unverschämt viel. In der Restschuld-Phase vereinbart man eine Pauschale.« Auf einen kompetenten Begleiter sollte man nicht verzichten.

Ein Vergleich wäre gut, aber…

Welche Möglichkeiten hat man nach dem Insolvenz-Antrag? Von Sengbusch: »Eine außergerichtliche Sanierung (›Vergleich‹) und Restrukturierung ist vorrangig zu prüfen. Aber nicht um jeden Preis! Den Kurs auf ein Insolvenzverfahren zu legen, kann durchaus besser sein als eine zu steinige außergerichtliche Sanierung«. Lesigang: »Der Vorteil eines Vergleichs wäre, dass er nicht öffentlich ist. Aber ihn durchzukriegen ist schwierig. Denn dazu müsste man z.B. auch Finanzamt und Krankenkasse zum Schuldenerlass bewegen, wozu sie selten bereit sind. Selbst dann, müssten alle Gläubiger der Pauschalbereinigung zustimmen. Und wenn nach Abschluss ein weiterer Gläubiger auftaucht, wären seine Forderungen nicht automatisch abgedeckt.«

EU-Insolvenz – wirklich besser?

Oft hört man den Rat, mit einer EU-Insolvenz, z.B. in England, entschulde man sich schneller. Von Sengbusch klärt auf: »Die auf den ›Insolvenz-Tourismus‹ spezialisierten Firmen sind den Behörden ja bekannt. Oft werden solche fingierten Aufenthalte nicht anerkannt. Außerdem dauert die Insolvenz im Heimatland in der Regel auch nicht länger und bietet bessere Sanierungsmöglichkeiten.« Ein weiterer Irrglaube: Das Gewerbe abzumelden und Privatinsolvenz anzumelden sei der beste Weg aus der Krise. Von Sengbusch: »Das macht nur in spezifischen Einzelfällen Sinn. Beraten lassen! In der deutschen Insolvenzordnung gibt es übrigens den Begriff ›Privatinsolvenz‹ gar nicht. Sondern Verfahren der Regelinsolvenz (gilt für Selbstständige), der Verbraucherinsolvenz (für Privatpersonen) und der Restschuld­befreiung für natürliche Personen in beiden Verfahren. Die Verbraucher­insolvenz ist für ehemalige Selbstständige nur dann anwendbar, wenn ihre Vermögensverhältnisse ›überschaubar‹ sind, das heißt: wenn man weniger als 20 Gläubiger hat. Das Gewerbe nicht abzumelden ist nur scheinbar teurer, denn: die Verfahrenskosten werden dafür gestundet, man hat Vorteile im Zusammenhang mit der Restschuldbefreiung. Eine Abmeldung kostet ja auch etwas: zwischen 1.500 bis 2.000 Euro. Ein Regelinsolvenzverfahren ist daher meist der bessere Weg«.

Herr Rach, bitte kommen!

Nicht unerwähnt bleiben sollen auch (zusätzliche) ungewöhnliche Wege aus der Krise: So wie jenen, den die Wirtsleute Zikou, deren Café Temptation in Wiesbaden in Schieflage geraten war, gewählt haben. Sie wenden sich an den Privatsender RTL, bei dem Promi-Koch Christian Rach im TV-Format »Rach, der Restauranttester« Unternehmern hilft. Hat’s denn was gebracht? »Ja«, sagt Ehepaar Zikou im Interview mit der deutschen FAZ vom 5.5.2017 (»Neue Hoffnung dank Fernsehkoch«). U.a. fänden durch den Werbeeffekt viel mehr Gäste zu ihrem Lokal. Nicht alles sei in der Realität genauso wie im TV dargestellt, geben sie zu. Alles wird gefilmt, die Cutter setzen Ausschnitte zu einem dramatischen Ganzen zusammen – der voyeuristische Zuseher will ja was geboten bekommen. Dieser Weg ist nur für Menschen geeignet, die keine Scheu vor dem öffentlichen Seelenstriptease haben.

Klüger in die nächste Unternehmung

Was lässt sich zum Schutz vor dem Insolvenz-Tsunami tun? Lesigang: »Sich solides betriebswirtschaftliches Know-how aneignen! Geschäftsführung ist bei vielen meiner Klienten mangelhaft, Fehlkalkulation die Ursache der späteren Krise.« Umso wichtiger ist die Buchhaltung (auch nach einem harten Arbeitstag!) als Prophylaxe. Man muss immer wissen, wo man finanziell steht. Dann kann früh genug etwas geändert bzw. die Reißleine gezogen werden. So steigen Chancen auf eine sanfte Landung.

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Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.

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