MySkills – kein Talent bleibt verborgen
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MySkills – kein Talent bleibt verborgen

von Daniela Müller
Montag, 03.09.2018
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Deutschland gehen die Köche aus. Geradezu leer gefegt scheint der Bewerbermarkt vielerorts. So mancher Gastro-Unternehmer setzt deshalb bei der Personalsuche seine ganzen Hoffnungen auf Flüchtlinge und Einwanderer aus Ländern, in denen der Arbeitsmarkt keine guten Perspektiven bietet, oder stellt Quereinsteiger ein. Doch nicht selten folgt die Ernüchterung auf dem Fuße: eine klaffende Lücke zwischen dem, was der Arbeitgeber erwartet, und dem, was der Bewerber zu bieten hat.

Dieser Enttäuschung wollen die Bundesagentur für Arbeit und die Bertelsmann Stiftung mittels ihres MySkills-Testverfahrens künftig vorbeugen. Dabei handelt es sich um ein neuartiges Instrument, das sehr praxisorientiert die beruflichen Fertigkeiten von all jenen Menschen ermittelt, die aus welchen Gründen auch immer kein Ausbildungszeugnis vorweisen können.

Fertigkeiten schwarz auf weiß

Um ihre Erfahrung nachvollziehbar auf ein Blatt Papier zu bringen, bearbeiten die Jobsuchenden im Jobcenter oder der Arbeitsagentur einen computergestützten, videobasierten Test. Die Fragen behandeln insgesamt sieben verschiedene Handlungsfelder: Spül- und Reinigungsarbeiten durchführen, Salate und Vorspeisen vorbereiten und herstellen, Beilagen und Suppen vorbereiten und herstellen, Süßspeisen herstellen, Fleisch- und Fischgerichte herstellen, den Küchenbetrieb leiten und im Service arbeiten. Um Sprachbarrieren zu verringern, ist der Test in sechs Sprachen verfügbar – Deutsch, Englisch, Arabisch, Farsi, Russisch und Türkisch. Außerdem beruht er mehr auf Bildern und Videos als auf Text.

»Ungelernte« gezielt einsetzen und fördern

Küchenmeister Adolf Hunger ist überzeugt: »Wir Köche müssen ganz neue Wege gehen, um gutes Personal zu finden und aufzubauen. Dafür ist MySkills ein sehr gutes Werkzeug, das wir in den Küchen sehr ernst nehmen sollten.« Hunger verantwortet als Betriebsleiter bei apetito catering die Küche für das Stammwerk Harsewinkel des Landmaschinenherstellers Claas und ist Prüfungsausschussvorsitzender für Küchenmeister bei der IHK Bielefeld. Als Fachexperte war er wesentlich an der Entwicklung des MySkills-Tests im Beruf »Koch/Köchin« beteiligt. Voraussichtlich ab Oktober wird übrigens auch ein Test für die »Fachkraft im Gastgewerbe« zur Verfügung stehen.

Fakt ist: Schon heute übernehmen 70 Prozent der sogenannten »Ungelernten« Aufgaben und Standardtätigkeiten von Fachkräften. Also Mitarbeiter, die über langjährige Erfahrung verfügen, aber eben nicht über einen Ausbildungsabschluss. Mit MySkills können Arbeitgeber künftig gezielt für bestimmte Tätigkeitsbereiche rekrutieren, indem sie gezielt nach Menschen mit guten Testergebnissen in diesen Handlungsfeldern suchen. Oder gleich ihre Arbeitsagentur oder das Jobcenter bitten, ihnen solche Leute zu schicken. Arbeitnehmer hingegen lernen mit dem Test, in welchen Bereichen sie sich gegebenenfalls noch nachqualifizieren müssen. Hierzu können sie dann gemeinsam mit der Arbeitsagentur nach geeigneten Fortbildungen und Qualifizierungen suchen, im Idealfall bis zum vollwertigen Abschluss als Fachkraft.

Auch für Profis eine harte Nuss

Wichtig ist es schließlich, die Ergebnisse des Tests richtig zu interpretieren. Denn die Fragen haben es durchaus in sich. In den Testläufen mit einer Referenzgruppe von Auszubildenden im dritten Lehrjahr hätten noch nicht mal die Einserkandi­daten immer vier Punkte geschafft. Auch für einen Profi mit Berufserfahrung in Deutschland seien vier Punkte in einem Handlungsfeld kaum zu erreichen, betont Hunger. »Jemanden, der mit einem Punkt in verschiedenen Handlungsfeldern kommt, kann man gut zur Probe arbeiten lassen oder ihm ein Praktikum anbieten. Jemanden, der zwei Punkte erreicht, kann man bedenkenlos nach einer Einarbeitungszeit in den jeweiligen Bereichen einsetzen. Und jemanden mit drei Punkten kann man eigentlich sofort einstellen.«

Wie funktioniert MySkills?

MySkills ScreenshotMySkills ist ein computergestützter, videobasierter Test, der von Jobcentern und Arbeitsagenturen angeboten wird. Um Sprachbarrieren zu verringern, ist der Test in sechs Sprachen verfügbar – Deutsch, Englisch, Arabisch, Farsi, Russisch und Türkisch. Er dauert ungefähr vier Stunden. Den Teilnehmern werden ca. 120 Fragen zu konkreten beruflichen Handlungssituationen gestellt. Derzeit gibt es den Test für acht Berufe – darunter für den Beruf »Koch/Köchin«. Voraussichtlich ab Oktober wird es außerdem einen Test für den Beruf »Fachkraft im Gastgewerbe« geben.

Mehr Infos unter www.myskills.de.

Portrait Sarah Wiener
Foto: Bertelsmann Stiftung

»MySkills eröffnet neue Chancen für Arbeitgeber und Bewerber«

Interview mit der Star-Köchin und Gastro-Unternehmerin Sarah Wiener

Dass ein fehlender Ausbildungsabschluss nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass ein Bewerber nichts kann, dafür ist sie das perfekte Beispiel: Die österreichische Gastro-Unternehmerin und TV-Köchin Sarah Wiener machte ganz ohne klassische Kochlehre eine große Karriere. Einen Test wie MySkills, der die Fertigkeiten von Bewerbern erhebt, findet die Unternehmerin dennoch eine nützliche Sache. Für das HOGAPAGE-Magazin hat sie MySkills auf Herz und Nieren getestet.Sie haben den MySkills-Test gerade kennengelernt. Wie kann er Sie als Arbeitgeberin beim Recruiting unterstützen?
Ich finde einen Test, der Fähigkeiten von Menschen einschätzt, sehr sinnvoll – insbesondere auch in unserer Branche, in der Personal händeringend gesucht wird. Gerade in den Küchenberufen ist es wirklich manchmal schwer vorherzusagen, was der einzelne Bewerber bereits kann bzw. noch nicht kann.

Inwiefern profitieren Bewerber von MySkills?
Der Test ist zwar erst mal nur Theorie, trotzdem finde ich ihn sinnvoll, z. B. für Menschen, die gar keine Unterlagen über ihre Berufsausbildung haben, oder für solche, die bereits in der Küche gearbeitet haben und mithilfe des Tests ihr Wissen jetzt auch belegen können. Das gibt einerseits mir als Arbeitgeberin Vertrauen in den Bewerber. Andererseits kommt auch der Bewerber mit einem stärkeren Selbstvertrauen zu mir, weil er anhand des Tests belegen kann, dass er bereits Erfahrungen in der Küche gesammelt hat.

Verschiedene Fragen haben Sie kennengelernt, wie würden Sie das Schwierigkeitsniveau der Fragen beurteilen?
Ich finde, dass das zum Teil ziemlich anspruchsvolle Fachfragen sind. Am meisten hat mich der Bereich Spülküche gefordert. In diesem Bereich habe ich aber tatsächlich auch noch kaum Erfahrungen gesammelt.

Kann man derart praktische Aufgaben, wie sie in der Profiküche anfallen, überhaupt am Computer darstellen?
Praxis – also Kochen – lernt man nur durch Kochen. Um beurteilen zu können, ob jemand Talent dazu hat und ob der das gern macht, muss ich mir diesen Menschen in die Küche holen, ihm in die Augen schauen, vielleicht neben ihm stehen und mit ihm sprechen. Aber bevor ich überhaupt kommuniziere, möchte ich gerne einiges über die Person wissen. Ob er weiß, wie man ein Mise en Place macht oder eine Mousse au Chocolat. Ob er die Abläufe in einer Küche nachvollziehen kann oder schon einmal tatsächlich in irgendeiner Küche gestanden ist, sodass ich auf etwas aufbauen kann. Und dafür ist der Test sehr sinnvoll.

Gerade auch für Flüchtlinge bietet der Test eine Chance, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Hier zählen jedoch für viele Betriebe nicht nur die handwerklichen Fertigkeiten. Mangelnde Sprachkenntnisse sind oft die größten Einstellungshürden. Wie kennen Sie das aus Ihren eigenen Betrieben?
Meiner Meinung nach sollte jeder, der in einem anderen Land lebt, die dortige Muttersprache lernen. Das ist das A und O der Kommunikation, privat, persönlich, im Geschäft und natürlich im Beruf. Wer sich nicht verständigen kann, wird im Leben nicht weiterkommen und immer an eine gläserne Decke stoßen. Natürlich gibt es aber auch Berufe, bei denen ein perfektes Deutsch nicht ganz so wichtig ist. In der Küche ist jedoch für einen Koch wesentlich, dass er die deutsche Sprache spricht, da er unter Stress eindeutig mit anderen kommunizieren können muss.

Wie würden Sie mit einem Bewerber verfahren, der den Test im mittleren Bereich abgeschlossen hat?
Wir suchen händeringend Küchenhilfen, Köchinnen, Köche, Beiköche und Spüler. Insofern würde es mir als Arbeitgeberin helfen, wenn jemand mit so einem Test von MySkills zu mir käme. Anhand des Ergebnisses erkenne ich, dass bereits Vorwissen und auch Motivation vorhanden ist, sich um eine passende Arbeitsstelle zu bemühen. Sonst hätte der Bewerber den Test erst gar nicht gemacht. Das finde ich schon mal sehr positiv. Ob es dann am Ende für eine Zusammenarbeit reicht, hängt immer auch von menschlichen Faktoren ab.

Sie selbst haben keine klassische dreijährige Ausbildung gemacht und trotzdem eine beeindruckende Karriere hingelegt. Hat es irgendwann einen Punkt gegeben, wo Ihnen ein Test wie MySkills geholfen hätte?
Ich bin ein Einzelkämpfer und habe keinen staatlichen Abschluss, deswegen ist es schwierig zu sagen, ob ich bereit gewesen wäre, mich einer staatlichen Institution oder einem Test zu unterwerfen, um mir eine Arbeit zu suchen. Mit Sicherheit aber hätte ich diesen Test gerne gemacht, um mein Wissen selbst einschätzen zu können. Es hätte wahrscheinlich meinen Ehrgeiz angestachelt, wenn da Gebiete gewesen wären, in denen ich noch Lücken aufgewiesen hätte.

Ich denke, MySkills wäre das passende Format gewesen, um mein Selbstwertgefühl und vielleicht auch meine Suche nach dem richtigen Beruf zu unterstützen. Ob ich mich dann mit dem Ergebnis tatsächlich irgendwo beworben hätte, kann ich nicht wirklich sagen, denn ich habe noch einen anderen Weg genommen: das Restaurant meines Vaters – und der musste mich einstellen (lacht).
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.

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